Haben Sie auch die Wahl in den USA verfolgt? Da hat das Mutterland der Demoskopie ja mal wieder richtig daneben gelegen. Ganz offensichtlich ist es den renommiertesten Meinungsforschungsinstituten der Welt nicht gelungen, auch nur annähernd die Stimmung und Wahlentscheidung vorauszusagen. Nebenbei nicht zum ersten Mal.
Wenn man die Reportagen verfolgt, die ja in jedem Medium veröffentlicht worden sind, wurde irgendwie schon deutlich, dass diese komfortable Mehrheit bzw. krachende Niederlage, die die Demoskopen gemessen haben, nicht zusammen passen. Nun ist Katerstimmung angesagt, da man ja schon vor 4 Jahren satt daneben lag. Die Marktforschungsinstitute leben in der Regel ja nicht von Wahlumfragen, sondern von den vielen Untersuchungen, die Handel, Industrie und Dienstleister in Auftrag geben. Wahlforschung ist oft für die Institute ein Aushängeschild. Wenn dies dann allerdings schon schief liegt, wie sieht es dann bei den vielen anderen Aufträgen aus und warum hat Marktforschung so einen hohen Stellenwert?
Bequem diese Zahlengläubigkeit
Nun sind ja viele Manager, insbesondere im Marketing, sehr gläubige Anhänger der Marktforschung. Werbekampagnen, Produkteinführungen, Preisgestaltung, alles wird mit Hilfe von Marktforschung entschieden. Ist ja auch irgendwie bequem, man hat sich im Haus abgesichert, wenn es schief geht, war es die Marktforschung. Man muss mit dem Kunden nicht reden, er kommt es (für ein kleines Vermögen) aufbereitet in bunten Diagrammen auf den Schreibtisch. Wer kann da schon widerstehen? Nur blöd, wenn es nicht stimmt.
Kundenquäler Marktforschung
Überarbeitete Call Center Agenten, die lustlos ihre Interviews abspulen, Predictive Dialer, die die Effizienz maximal erhöhen, frustrierte Animateure, die bestimmte Zielgruppen aus den Fußgängerzonen rausfischen und die allgegenwärtigen Online-Befragungen, die inflationär auf einen niederprasseln. Natürlich soll der Kunde alles kostenlos erzählen, wo käme man sonst mit der Rendite hin?
Dazu als Sahnehäubchen weiß der Kunde nie, ist das jetzt ein Verkaufstrick oder sind sie wirklich interessiert. Man kann es einfach nicht mehr hören, sehen oder lesen, dass 95% der Nutzer des Produktes X, es ihrer besten Freundin empfehlen würden (in Klammern dann die Befragung und das Institut in der Regel in sehr kleiner Schrift). Das ist faktisch die Gebrauchsanweisung für die Branche, sich selbst zu diskreditieren. Wenn man sich überlegt, wie viel Mühe sich Unternehmen mit ihrem Markenimage geben, sind die Befragungen in sehr vielen Fällen, egal über welchen Kanal, nicht förderlich für das Image.
Die Wertvollsten fallen durchs Raster
Die engagierten Teilnehmer, die etwas sagen wollen, die sich Gedanken machen oder sogar Erfahrungen teilen (in der Regel kostenlos), passen oft nicht in die bereitgestellten Fragekästchen. Da aber die Marktforschung nicht fürs Zuhören und sich mit dem Thema beschäftigen bezahlt wird, sondern für die Anzahl der durchgeführten Interviews, kann der Befragte einen „Millionen Euro Rat“ abgeben, wenn kein Kästchen da ist, wird es nicht gehoben.
So werden also die Daten für ihre wirklich wichtigen Unternehmensentscheidungen von unterbezahlten Interviewern, mit oft wundgescheuerten Kunden erhoben. Dann mal viel Vergnügen mit dem Ergebnis.
90 Tage mal einen anderen Weg ausprobieren
Sprechen Sie mit Kunden und Interessenten, machen Sie es zur ChefInnen Sache in die Call Center zu gehen und 1 h im Monat zuzuhören. Laden Sie Kunden ein und diskutieren Sie mit ihnen. Sprechen Sie mit ehemaligen Kunden. Bearbeiten Sie ein paar Beschwerden jede Woche. Fühlen Sie damit den Puls. Lassen Sie so viele Kollegen in der Belegschaft ebenso machen, von der Assistenz, bis zum Azubi, vom Controller bis zum Pförtner. Sie bekommen eine breite Schicht von Eindrücken, die Kunden werden sie mit Ideen überhäufen, die ehemaligen Kunden werden überrascht sein und der ein oder andere wird zurückkommen. Vergessen Sie für ein Quartal – zur Probe – alle Marktforschungen und lassen Sie ihr Haus wieder Bauchgefühl trainieren.
Einer unserer Kunden, in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld zu Hause ,macht es schon länger für sich persönlich so, es vergeht kein Treffen, wo diese Eindrücke nicht auch die Agenda beeinflussen.
Zugegeben es ist nicht ganz so bequem wie diese schicken Charts. Aber wenn es dann in ausgewählten Teams in ihrem Haus Gespräche und Diskussionen über das Erlebte gibt, werden sich neue Blickwinkel ergeben. In so einen Prozess Geld investiert, mit ein paar Moderatoren und Begleitern, ist vermutlich preiswerter als die Marktforschung.
Es lohnt sich auf jeden Fall, es mal auszuprobieren.